Beauty of Business Journalistenpreis 2006 für die Reportage
"Für das Beste im Mann", erschienen im Rheinischen Merkur.


Für das Beste im Mann


DIRK ENGELHARDT

 
  Scharfe Sache: Gegen ein echtes Messer kommen Plastikrasierer nicht an. 
Foto: Onlight/F1 online
   
Der Amerikaner King C. Gillette, so geht die Sage, ärgerte sich über ein stumpfes Rasiermesser. Und weil Amerikaner immer schon Wert auf ein gepflegtes und vor allem glatt rasiertes Äußeres legten, erfand besagter Mann vor 100 Jahren den ersten „Sicherheitsrasierer mit auswechselbarer Klinge“ – und läutete damit eine neue Ära der Rasur ein. Im September 1901 gründete er, geschäftstüchtig, wie die Amerikaner ebenfalls sind, die „American Safety Razor Company“. Im ersten Jahr verkaufte die Firma ganze 51 Apparate und 168 Klingen. Nachdem der Erfinder 1904 ein Patent auf sein Produkt anmeldete, schnellten die Verkaufszahlen nach oben: 90000 Apparate und 1,2 Millionen Klingen konnte er absetzen.

Allerdings sollte es bis zum Ersten Weltkrieg dauern, bis die Wegwerfklinge sich durchgesetzt hatte: Die katastrophalen hygienischen Bedingungen, unter denen sich die Soldaten in Schützengräben und Bunkern rasierten, förderten die Einmal-Klinge. Aus der Rasierklinge war ein Massenprodukt geworden. Zugleich war die Klinge, die nicht mehr nachgeschliffen werden musste, sondern in den Müll wanderte, wenn sie nicht mehr scharf war, Wegbereiter für eine weitere amerikanischen Trend: die Wegwerfgesellschaft.

Wer heute bei einem Herrenfriseur nach einer Rasur fragt, erhält in den meisten Fällen ein verwundertes Kopfschütteln, vielleicht ergänzt um die Erklärung, das sei „wegen Aids“ gar nicht mehr erlaubt. „Das ist natürlich großer Quatsch“, sagt Dirk Kramprich vom Zentralverband des Deutschen Friseurhandwerks in Köln. „Die Bartrasur ist ja auch heute noch Teil der Ausbildung im Friseurhandwerk, und bei sauberen Gerätschaften und sterilisierten Klingen ist nichts Gesundheitsgefährdendes zu befürchten.“


Limone auf der Haut

Der Herrenfriseur Hild in Ludwigshafen-Ruchheim, der vor einigen Jahren einen nostalgischen Friseursalon im altenglischen Stil einrichtete, bietet auch Rasur für Herren an. „Doch das wird nur sehr selten genutzt“, sagt Inhaber Walter Hild, und er scheint insgeheim auch ganz froh darüber zu sein. Denn die Nassrasur kostet 14 Euro und dauert fast eine halbe Stunde. Die „Bart-Kunden“ seien meist Einmal-Besucher, die aus Neugier mal die Prozedur des professionellen Nassrasierens ausprobieren wollen. Lieber verkauft Hild da die Aftershave-Produkte aus dem exklusiven Londoner Traditionshaus Trumper, zum Beispiel das „Sandalwood Cologne“, das „Spanish Leather“ oder das „Extract of Limes“, das Limonenauszüge aus den früheren Kolonien Westindien enthält.

Wenig geändert seit King C. Gillettes Erfindung hat sich bei den türkischen Barbieren, die ja bekanntlich zu den berühmtesten der Welt gehören. Einer von ihnen ist Sasmaz Yavuz, der einen kaum sieben Quadratmeter großen Salon am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg betreibt. „Nassrasur: 6 Euro“ steht auf einem altmodischen Blechschild, und das ist zugleich die einzige Schaufensterdekoration des Ladenabteils in der Passage namens „Orient Bazar“, in der ausschließlich türkische Händler ihre Dienste anbieten. Vor dem Laden stehen vier Plastikstühle, auf denen Männer breitbeinig die „Hürriyet“ studieren, den obligatorischen „Cay“ aus dem Samowar in kleine Gläser füllen und warten, bis sie an der Reihe sind.

Deutsche Männer rücken ihren Bartstoppeln lieber zu Hause mit ihrem Schwingkopfrasierer zu Leibe. „Für das Beste im Mann“, behauptet die Gillette-Werbung. Doch ein neues Pflegebewusstsein liefert immer mehr ästhetikbewusste Herren ans Rasiermesser. Denn mit der Zeremonie von Sasmaz Yavuz kann auch der hypermodernste Dreifach-Schwingkopf-Titan-Rasierer nicht im Entferntesten mithalten. Außerdem ist die türkische Rasier-Zeremonie ein Stück traditioneller männlicher Wellness, lange bewährt, bevor dieses Modewort durch den deutschen Blätterwald rauschte.

Den Anfang macht – wie es Großvater im Doppelripp-Unterhemd immer vor dem Badezimmerspiegel zu tun pflegte – das Rasierschaumschlagen. Mit einem ganz normalen Rasierpinsel und ganz normalem Rasierschaum von Palmolive aus der Tube. „Der Trick dabei ist, dass der Schaum lange und sorgfältig aufgetragen werden muss. Dann macht er die Haare richtig weich, und sie können gut abrasiert werden“, erklärt Yavuz. Bei trockener Gesichtshaut mischt Yavuz eine Portion Nivea-Creme unter den Schaum.

Der Schaum steht gut, und jetzt verrät Yavuz noch ein kleines Geheimnis. Rasiermesser wie früher gibt es nämlich kaum noch. Aber es gibt Rasiermesserhalter, mit Plastikgriff, auf dem großen Basar in Istanbul, und es gibt Rasierklingen, einzeln verpackt, von Gillette. Damit die auf das Rasiermesser passen, knickt Yavuz sie mit zwei geübten Handgriffen auf die passende Größe, et voilà – die Rasur kann beginnen. Mit den härteren Stellen unterhalb der Koteletten fängt der „Berber“, wie der Friseur für Männer in der Türkei genannt wird, an. Mit zwei Fingern klemmt er ein Stückchen Haut ein, und mit traumhaft sicheren Bewegungen fährt er mit dem Messer über die angestraffte Haut.


Schwungvolle Massage

Angst vor dem Messer haben die Kunden schon – auch wenn sie es nicht zugeben –, doch die ist unbegründet. Vor „Rasierbrand“, den Pickeln nach der Nassrasur am Hals, wo die Haut weicher ist, braucht sich übrigens auch niemand fürchten. „An diesen Stellen am Hals darf man nie gegen den Strich rasieren“, sagt Yavuz mit fachmännischer Miene, „sondern immer nur vorsichtig mit den Haaren.“ Nach der ersten Rasur trägt er den Rest des Rasierschaums auf, und der „Feinschliff“ beginnt.

„So, bitte abwaschen!“ Die Reste von Schaum und Haaren wäscht der Kunde sich selbst unter dem Waschbecken ab, erst mit warmem Wasser, dann mit kaltem. Anschließend wird er vorsichtig mit einem flauschigen Frotteetuch abgetrocknet.

Doch fertig ist die Prozedur noch lange nicht. Mit wieselflinken Bewegungen wickelt der schnauzbärtige Barbier sich schwarzen Bindfaden in einer tausendfach geübten Zickzack-Anordnung um die Finger, und wie mit einer Schere aus Bindfaden fährt er damit im oberen Wangenbereich hin und her. Der Kunde verzieht etwas das Gesicht – ganz schmerzfrei scheint diese Prozedur nicht abzugehen. Das sei „für die langen Härchen“, erklärt der Meister geduldig, die mit dem Rasiermesser scheinbar nicht abgehen.

Glühende Metallstäbchen, wie sie Barbiere in der Türkei auch heute noch in die Ohrlöcher führen, um dort Härchen abzuschmelzen, verwendet Yavuz nicht. Dazu sei sein Salon zu klein, entschuldigt er sich. Als Belohnung für die Schönheitskur gibt es eine schwungvolle, entspannende Gesichtsmassage. Der Kopf liegt auf der dicken Gummirolle des antiken Barbierstuhls, Yavuz knetet und streicht die Visage des Stammkunden, der diesen Teil der Prozedur sichtlich genießt. Den krönenden Abschluss bildet eine Prise duftendes Zitronen-Kölnischwasser und eine Lage Puder auf die härchenfreie, glänzende Haut. „Gut so?“, fragt Sasmaz eher rhetorisch. Ein breites Grinsen seines Kunden ist ihm Antwort genug. Gut eine Viertelstunde hat die Behandlung gedauert.

Die Barthaare eines Mannes wachsen täglich um zirka 0,4 Millimeter. Im Laufe seines Lebens verbringt ein Mann rund 3500 Stunden mit dem Rasieren. Dabei kommt der Rasur eine hautpflegende Funktion zu: Abgestorbene Hautzellen werden entfernt, und die Haut wirkt danach jugendlich erfrischt. Im Gegensatz zur in Deutschland weit verbreiteten Trockenrasur mit dem Elektrorasierer ist die Nassrasur die weitaus gründlichere und zugleich schonendere Art .

Das A und O der Nassrasur: Vorbereitung – Zeit nehmen! Die Haut anwärmen und anfeuchten. Ordentlich einschäumen. Rasur: Immer in Wuchsrichtung der Haare schneiden, Klinge nach jedem Zug ausspülen. Nachbehandlung: Die Haut braucht Beruhigung. Also Produkte mit möglichst niedrigem Alkoholgehalt nehmen .